Beim Professionellen Wettbewerb der Sony World Photography Awards 2022 hat die junge Fotografin Sarah Grethe in der Kategorie „Creative“ den dritten Platz belegt. Wir haben mit ihr darüber gesprochen, wie ihr Fotoprojekt entstanden ist, wie sich Heimat verändert und welche Spuren aus der Vergangenheit sie entdeckt hat.
Sarah Grethe, wie sind Sie auf die Idee zu diesem Projekt gekommen?
Die Serie ist im Rahmen der Abschlussarbeit meines Fotografie-Studiums entstanden. Ich habe mich in dessen Verlauf häufiger mit meiner Familie und dem Einfluss der Vergangenheit beschäftigt. Meine Mutter ist auf einem Bauernhof in Süddeutschland aufgewachsen, ich selbst in Norddeutschland unter ganz anderen Umständen. Die Entscheidung für das Projekt war intuitiv, aber ich glaube ich habe es gemacht, um mehr über sie und ihr Leben vor mir zu erfahren. Ihre Kindheit erschien mir immer so weit weg und anders als mein eigenes Leben.
Wie lange und auf welche Weise haben Sie sich auf das Projekt vorbereitet?
Ich habe mich vorher theoretisch mit dem Begriff Heimat und dem Einfluss auf die Entwicklung der Identität befasst, was auch ein Teil meiner Abschlussarbeit war. Und ich habe mich mit vielen fotografischen Positionen beschäftigt, die sich mit der eigenen Herkunft auseinandersetzen. Die Serie ist vor genau einem Jahr entstanden. Wir waren auf zwei Fahrten aufgeteilt jeweils für mehrere Wochen in Süddeutschland auf dem Bauernhof. Ich habe das Fotografieren eher als offenen Prozess betrachtet, weswegen ich vorher keine konkreten Vorstellungen und Pläne hatte. Ich wusste zwar ungefähr was mich erwartet, da ich natürlich selbst in meiner Kindheit dort oft zu Besuch gewesen bin, aber diesen Ort aus fotografischer Sicht zu betrachten, war nochmal eine ganz andere Erfahrung für mich.
Wie sind Sie vor Ort vorgegangen, wann haben Sie fotografiert?
Zuerst habe ich alles Mögliche durchsucht, nach spannenden Gegenständen und den Geschichten dazu Ausschau gehalten. Ich habe mir alles notiert, um nach und nach die einzelnen Motive daraus zu entwickeln. Der Großteil meiner Arbeiten ist dabei inszeniert, die Stillleben oft skulptural angeordnet. Ich wollte die Wechselwirkung zwischen Distanz und Nähe einfangen. Die Rückkehr meiner Mutter an den Ort ihres Aufwachsens kann einerseits als Retrospektive gesehen werden, andererseits aber auch als Aufnahme der Gegenwart und dem gegenständlichen Verschwinden von ihrer Heimat.
Mit welchem Equipment haben Sie fotografiert?
Ich habe im analogen Mittelformat mit einer Mamiya 645 auf Kodak Portra 400 fotografiert und anschließend die Negative digitalisiert. Alle Bilder sind mit vorhandenem Licht und vom Stativ aufgenommen.
„Der Großteil meiner Arbeiten ist dabei inszeniert, die Stillleben oft skulptural angeordnet. Ich wollte die Wechselwirkung zwischen Distanz und Nähe einfangen.“
Sarah Grethe, FOtografin
Sie haben gemeinsam mit ihrer Mutter nach der Vergangenheit in der Gegenwart gesucht. Was haben Sie gefunden?
Allen voran habe ich viele alte und verstaubte Gegenstände gefunden. An was ich mich noch besonders erinnere, ist die Situation, als wir eine Kiste mit alten Fotos durchgeschaut haben. Es war mir vorher nicht bewusst, aber ich habe dort zum ersten Mal ein Kinderbild meiner Mutter gesehen. Und ihr ging es zufälligerweise genauso, sie hat gleichzeitig zum ersten Mal ein Kinderbild ihrer Mutter gesehen.
Wie war es für Sie, Ihre Mutter in diesen mitunter intimen Momenten zu fotografieren? Wie hat sich dadurch Ihre Beziehung zueinander verändert?
Wir beide hatten vorher schon ein sehr gutes Verhältnis, weswegen die Intimität absolut kein Problem war. Zusätzlich hat auch geholfen, dass meine Mutter sehr locker an das Posieren vor der Kamera herangegangen ist. Viele Motive haben sich durch mehrmaliges Fotografieren weiterentwickelt, oft auch wegen ihrer Einfälle. Die Reise, die wir zusammen nach Süddeutschland unternommen haben, und die gemeinsame Auseinandersetzung ist auf jeden Fall ein Erlebnis, das uns heute noch mehr verbindet.
Was passiert, wenn man nach vielen Jahren an seinen Heimatort, in sein Elternhaus zurückkommt?
Man merkt, dass die physische Form der Heimat immer weiter abnimmt und beschäftigt sich mit der Frage, inwiefern sie trotzdem weiterleben wird. Auch der Wandel des Blickes auf den Ort, der einhergeht mit dem Älterwerden und dem Abstand, wird einem besonders bewusst.
Was hat das Projekt mit Ihnen gemacht? Und wie hat es sich auf Ihre Mutter ausgewirkt?
Da es mein erstes großes Projekt war, habe ich mich besonders über die positive Resonanz gefreut, dass ein so persönliches Thema viele Menschen berührt. Aber allen voran ist es für meine Mutter eine letzte Aufnahme des Ortes, an dem sie aufgewachsen ist. Da sich nach dem Projekt einiges verändert hat, ist es der letztmögliche Zeitpunkt gewesen, noch das, was davon übrig war, aufzunehmen.
Wie kam es zu dem Titel der Serie?
Der Titel ist ein Zitat aus einem Brief von meiner Mutter an ihre Eltern, welchen wir im Prozess zufällig gefunden haben. In diesem gratuliert sie beiden zum Geburtstag und schreibt über ein Buch, welches von der Bergpredigt handelt. Dieses hat den Titel „Manchmal ist der Himmel über uns offen“. Mir geht es nicht um die genaue Bedeutung des Satzes, sondern eher was eine jede Person für sich darein interpretiert. Da viele Aufnahmen auf eine poetische und symbolische Weise funktionieren fand ich diesen Satz im Kontext spannend.
Welche Motive aus der Serie liegen Ihnen besonders am Herzen? Warum?
Das liebste Motiv sind die Hände im Gras. Meine Mutter musste früher immer bei der Erdbeer-Ernte helfen. Ein Großteil der Sommer ihrer Kindheit verbrachte sie zusammen mit ihren Geschwistern auf den Feldern. Dieses Bild ist nur am Rande entstanden, nachdem wir etwas anderes ausprobiert hatten, und gerade diese Unterschwelligkeit mag ich daran. Auch die visuelle Irritation, was da eigentlich an ihren Händen klebt.
Sie haben bei den Sony World Photography Awards den dritten Platz in der Kategorie „Creative“ erreicht. Was bedeutet Ihnen diese Auszeichnung?
Ich habe mich riesig darüber gefreut, als ich die Nachricht bekommen habe, dass ich platziert bin. Die internationale Sichtbarkeit in den Ausstellungen und der Publikation ist großartig, vor allem als junge Fotografin. Lustigerweise war eine Ausstellung der Awards, die ich damals in Berlin besucht habe, eine meiner ersten Berührungspunkte mit dem Ausstellen von Fotografie. Umso schöner ist es jetzt, selbst ein Teil davon zu sein.
Vielen Dank für das Gespräch, Frau Grethe!
Wanderausstellung zu den Sony World Photography Awards 2022
Nach der Premiere der Bilder im Somerset House in London geht die Ausstellung auf Tournee. Die Gewinnerbilder der Sony World Photography Awards 2022 sind hier zu sehen:
Sony World Photography Awards 2022 Exhibition
Open Eye Gallery, Liverpool
10. November bis 11. Dezember 2022
Sony World Photography Awards 2022 Exhibition
MOPA, San Diego
08. Oktober 2022 bis 19. März 2023
Sony World Photography Awards 2022 Ausstellung
Willy-Brandt-Haus, Berlin
21. Oktober 2022 bis 15. Januar 2023
Die virtuelle Ausstellung zu den Sony World Photography Awards 2022 findest du hier: www.worldphoto.org/virtualexhibition2022.
Alle Informationen zu den Gewinnerbildern sowie ausführliche Interviews mit den ausgezeichneten Fotograf:innen gibt es hier: worldphoto.org/ceremony-2022.