Die World Photography Organisation hat die Gewinnerbilder der Sony World Photography Awards 2022 präsentiert. Mit dem Titel „Photographer of the Year“ wurde der renommierte Fotograf Adam Ferguson aus Australien ausgezeichnet. Auch die zehn Kategoriegewinner:innen, die Zweit- und Drittplatzierten im Profi-Wettbewerb sowie die Gesamtsieger:innen im offenen Studierenden- und Jugendwettbewerb wurden bekannt gegeben.
Der australische Fotograf Adam Ferguson erhält für seine Fotoserie „Migrantes“ die Auszeichnung „Photographer of the Year“ sowie Preisgeld von 25.000 US-Dollar und eine digitale Fotoausrüstung von Sony. Seine Schwarzweiß-Serie zeigt Selbstporträts von Migrantinnen und Migranten in Mexiko, die darauf warten, die Grenze zu den Vereinigten Staaten zu überqueren. Adam Ferguson bereitete jedes Bild vor, indem er eine Mittelformatkamera auf einem Stativ mit Fernbedienung montierte. Dann zog er sich zurück, um seinen Protagonist:innen die Möglichkeit zu geben, den Moment der Aufnahme selbst zu bestimmen und so an der Dokumentation ihrer Lebenssituation mitzuwirken.
Im Februar 2021, nach dem Präsidentenwechsel in den USA, strömten Scharen von Migrantinnen und Migranten aus Mittel- und Südamerika an die US-mexikanische Grenze. In den Medien kursierten Bilder von Menschen, die im Blitzlichtgewitter der Fotograf:innen ihre Habseligkeiten schleppten oder sich an Angehörige klammerten. Ferguson wusste die Bedeutung dieser fotojournalistischen Arbeiten zu schätzen, stellte aber zugleich einen bemerkenswerten Mangel an Fotos von der mexikanischen Seite der Grenze fest. Ihm fehlten vor allem solche Bilder, die den Migrant:innen ein gewisses Maß an Handlungsfreiheit einräumten.
Vor diesem Hintergrund schlug Ferguson seinem Redakteur bei der New York Times ein eigenes Projekt vor und erhielt den Auftrag, im April und Mai 2021 für elf Tage nach Juarez und Reynosa zu reisen. Bei seiner Herangehensweise an das Vorhaben ließ er sich von Adam Broombergs und Oliver Chanarins Projekt „Ghetto“ inspirieren – einer visuellen Reise durch zwölf moderne Ghettos, darunter dem psychiatrischen Krankenhaus Rene Vallejo in Kuba, in dem das ehemalige Künstlerduo den Patientinnen und Patienten den Auslöser in die Hand gab.
Empathie statt Sympathie
Begleitet von den mexikanischen Journalisten Ernesto Rodríguez, Silvia Cruz, Noe Gea Medina und Laura Monica Cruz Flores, sprach Ferguson Migrantinnen und Migranten in grenznahen Unterkünften an, zeichnete ihre oftmals erschütternden Geschichten auf und machte sich gemeinsam mit ihnen daran, ihr jeweiliges Bild in einer entspannten Atmosphäre zu inszenieren und aufzunehmen, in der sie sich weniger befangen fühlen würden. Ferguson entschied sich für einen Schwarzweißfilm, um das Bild auf seinen emotionalen Wert zu reduzieren. So entstand eine Serie, die ein ergreifendes Porträt von Menschen zeichnet, für die auf der Suche nach einem besseren Leben die Zeit stehengeblieben ist.
„Bei dieser Fotoserie wollte ich durch die Zusammenarbeit mit den Migrantinnen und Migranten Bilder erzeugen, die eher Empathie als Sympathie wecken. Indem ich die Kontrolle über die Aufnahme abgab und jedem Migranten ermöglichte, den Bildfindungsprozess selbst mitzubestimmen, hoffte ich, das Narrativ von der Ausgrenzung zu unterlaufen und eine Geschichte zu erzählen, die menschlicher, nachvollziehbarer und ehrlicher ist“, erklärte Adam Ferguson.
„Diese Porträts zeigen eindrucksvoll, wie ein moralisches Anliegen und Respekt dazu beitragen können, Manipulationen und Verletzungen der Privatsphäre zu vermeiden, wie sie der Fotografie oft vorgeworfen werden.“
Mike Trow, Jury-Vorsitzender für den Profi-Wettbewerb 2022
Mike Trow, Jury-Vorsitzender für den Profi-Wettbewerb 2022, sagte zu Fergusons Projekt: „Was Adam Ferguson an der Grenze zwischen den USA und Mexiko mit Migranten und Migrantenfamilien realisiert hat, ist zutiefst einfühlsam und bewegend. Diese Porträts zeigen eindrucksvoll, wie ein moralisches Anliegen und Respekt dazu beitragen können, Manipulationen und Verletzungen der Privatsphäre zu vermeiden, wie sie der Fotografie oft vorgeworfen werden. Adam Ferguson hat den Porträtierten den Auslöser in die Hand gegeben – und damit die Entscheidung darüber, wie sie wahrgenommen werden möchten.“
Die Sieger:innen in den Profi-Kategorien
Die Teilnehmer:innen des Profi-Wettbewerbs haben Serien eingereicht, die fünf bis zehn Bilder umfassen. Eine Fachjury wählte aus den Einsendungen die Gewinner:innen aus. Das Spektrum reichte dabei von Dokumentationen zu politischen Krisen und Klimathemen über persönliche Betrachtungen zu Familie und Verlust bis hin zu kreativen Stillleben und Naturaufnahmen. Alle Kategoriesieger:innen erhalten eine digitale Fotoausrüstung von Sony.
Gewonnen haben in diesem Jahr:
Architektur & Design
Gewinner: Domagoj Burilović (Kroatien) für seine Serie „Dorf“
2. Platz: Javier Arcenillas (Spanien); 3. Platz: Yun Chi Chen (Taiwan)
Kreativ
Gewinner: Alnis Stakle (Lettland) für seine Serie „Mellow Apocalypse“
2. Platz: Raphael Neal (UK); 3. Platz: Sarah Grethe (Deutschland)
Dokumentarische Projekte
Gewinner: Jan Grarup (Dänemark) für seine Serie „The Children of the Financial Collapse in Venezuela“
2. Platz: Fabian Ritter (Deutschland); 3. Platz: Win McNamee (USA)
Umwelt
Gewinner: Shunta Kimura (Japan) für seine Serie „Living in the Transition“
2. Platz: Gideon Mendel (Südafrika); 3. Platz: Giacomo d’Orlando (Italien)
Landschaft
Gewinner: Lorenzo Poli (Italien) für seine Serie „Life on Earth“
2. Platz: Andrius Repšys (Litauen); 3. Platz: Gareth Iwan Jones (UK)
Portfolio
Hugh Fox (UK) für seinen Beitrag in der Kategorie „Portfolio“
2. Platz: Julian Anderson (UK); 3. Platz: Anna Neubauer (Österreich)
Porträt
Gewinner: Adam Ferguson (Australien) für seine Serie „Migrantes“
2. Platz: George Tatakis (Griechenland); 3. Platz: Brent Stirton (Südafrika)
Sport
Gewinner: Ricardo Teles (Brasilien) für seine Serie „Kuarup“
2. Platz: Adam Petty (Australien); 3. Platz: Roman Vondrouš (Tschechische Republik)
Stillleben
Gewinner: Haruna Ogata (Japan) & Jean-Etienne Portail (Frankreich) für ihre Serie „Constellation“
2. Platz: Cletus Nelson Nwadike (Schweden); 3. Platz: Alessandro Gandolfi (Italien)
Natur und wilde Tiere:
Gewinner: Milan Radisics (Ungarn) für seine Serie „The Fox’s Tale“
2. Platz: Federico Borella (Italien); 3. Platz: Oana Baković (Rumänien)
„Open Photographer of the Year 2022“
Der offene Wettbewerb zelebriert die Macht starker Einzelbilder. Die prämierten Arbeiten zeichnen sich durch eine bemerkenswerte visuelle Erzählweise aus, die mit großem technischem Können einhergeht. Aus den zehn Sieger:innen in den offenen Kategorien wurde Scott Wilson (UK) zum „Open Photographer of the Year 2022“ gekürt. Er erhält ein Preisgeld in Höhe von 5.000 US-Dollar sowie eine digitale Fotoausrüstung von Sony.
Wilson erhält den Titel für sein eindrucksvolles Bild „Anger Management“, das er in der Kategorie „Natur und wilde Tiere“ eingereicht hatte. Das Schwarz-Weiß-Foto, aufgenommen im Nordwesten Colorados, zeigt einen wilden, schmutzbedeckten Mustang, der eine Staubwolke aufwirbelt. Das Bild entstand, kurz nachdem der Hengst in ein Schlammloch gesprungen war – um sich vor sommerlichen Insekten zu schützen – und als er gerade auf den Boden stampfte, um Konkurrenten wissen zu lassen, dass er bereit war, um seinen Platz an einer nahegelegenen Wasserstelle zu kämpfen.
„Das Verhalten von Mustangs in freier Wildbahn zu beobachten, bedeutet, Natur in all ihrer Ursprünglichkeit und Wildheit zu erleben. Die Spannung, die das Bild vermittelt, steht symbolisch für die Bedrohungen, denen Wildpferde im amerikanischen Westen ausgesetzt sind, wo diese wunderbaren Tiere in Rekordzahlen zusammengetrieben und eingefangen werden. Ende 2022 wird es mehr Wildpferde in Gefangenschaft geben als solche, die in freier Natur leben“, erklärt Scott Wilson zu seinem Siegerbild.
„Student Photographer of the Year 2022“
Ezra Böhm aus den Niederlanden von der „Nederlandse Academie voor Beeldcreatie“ erhält den Titel „Student Photographer of the Year 2022“ und gewinnt eine Fotoausrüstung von Sony im Wert von 30.000 Euro für seine Akademie. Böhm wird für seine Serie „The Identity of Holland“ ausgezeichnet, die er zu der Themenstellung „Connections“ (Verbindungen) angefertigt hatte. Die Student:innen sollten in ihren Arbeiten zeigen, wie sie selbst oder andere mit der Welt interagieren.
Für die Serie, die ihm den Sieg einbrachte, hatte Böhm die Mitglieder eng verwobener Gemeinschaften in den Niederlanden fotografiert, die eine traditionelle Lebensweise beibehalten haben. Dabei stellte er ihre außerordentlich detailreichen Trachten und ihre Beziehung zur niederländischen Kulturgeschichte in den Mittelpunkt. Zu seinem Sieg sagte Böhm: „Ich sehe diesen Preis als Bestätigung dafür, wie wichtig es ist, das Unerwartete zu fotografieren und Geschichten zu erzählen, die vom Herzen kommen. Wenn man seinen Ambitionen folgt, gewinnt alles, was man tut, an Bedeutung und vermutlich auch an Erfolg.“
„Youth Photographer of the Year 2022“
Der 18-jährige Tri Nguyen aus Vietnam wurde mit seiner Arbeit „Under The Moonlight“ aus sechs Kategoriesieger:innen ausgewählt und zum „Youth Photographer of the Year 2022“ gekürt. Sein Foto zeigt einen jungen Mann in einer schäbigen Kulisse, der sich von künstlichem Mondlicht bescheinen lässt. Das Licht steht symbolisch dafür, im Rampenlicht zu stehen, und versinnbildlicht die Sehnsucht des jungen Mannes, seine Schwächen zu akzeptieren. Das Bild gehört zu einer Serie, in der es um Selbstreflexion geht und um den Wunsch, aus Mustern auszubrechen und die eigenen Unvollkommenheiten selbstbewusst anzunehmen.
Herausragende Leistungen für die Fotografie
Der diesjährige Preis für herausragende Leistungen für die Fotografie geht an den kanadischen Fotografen Edward Burtynsky. Burtynsky gilt als einer der erfolgreichsten zeitgenössischen Fotografen weltweit und ist vor allem für seine großformatigen Bilder von Industrielandschaften und der Umweltkrise im Allgemeinen bekannt. In eindrucksvollen Darstellungen riesiger, vom Menschen veränderter Landschaften zeigt Burtynsky das ungeheure Ausmaß der Infrastrukturen und legt die Zerstörungen offen, die der Kapitalismus und Konsum immer weiter vorantreiben. Ansichten vernarbter Gebirgsketten, ausgetrockneter Gewässer und ausufernder Städte werden zu malerischen Abstraktionen aus Farben und Formen verdichtet.
Bei der Ausstellung zu den Sony World Photography Awards 2022 werden mehr als ein Dutzend seiner großformatigen Fotografien zu sehen sein. Die Auswahl, die der Fotograf selbst getroffen hat, wirft ein Schlaglicht auf wichtige Werkgruppen aus seiner 40-jährigen Karriere, darunter „Anthropocene“ (2018), „Salt Pans“ (2016), „Water“ (2013), „Oil“ (2009) und „Railcuts“ (1985). Darüber hinaus werden – erstmals in Großbritannien – Bilder aus Burtynskys kommender Serie „Africa“ (2022) präsentiert, die sowohl die natürliche afrikanische Landschaft als auch Gebiete zeigen, die durch den Abbau von Ressourcen verändert wurden.
Ausstellung zu den Sony World Photography Awards 2022
Die Ausstellung zu den Sony World Photography Awards 2022 findet vom 13. April bis 2. Mai 2022 im Somerset House in London statt. Neben den Arbeiten der diesjährigen Gesamtsieger:innen und Kategoriegewinner:innen umfasst sie auch Solo-Schauen von Pablo Albarenga (Uruguay), Photographer of the Year 2020, und Craig Easton (UK), Photographer of the Year 2021.
Pablo Albarenga zeigt eine Auswahl von Fotos aus seiner preisgekrönten Serie „Seeds of Resistance“, in der er Bilder von Landschaften und Regionen, die durch den Bergbau und die Agrarindustrie gefährdet sind, mit Porträts von Aktivisten kombiniert, die für deren Erhalt kämpfen. Außerdem präsentiert Greg Easton Schwarz-Weiß-Porträts aus seiner Serie „Bank Top“, die den Bewohner:innen des Stadtviertels Bank Top in Blackburn gewidmet ist. Das Projekt untersucht die Darstellungen und Fehldarstellungen lokaler Gemeinschaften in Nordengland und beleuchtet die Geschichten und Erfahrungen der Einwohner in Fotos sowie begleitenden Texten des Autors und Dozenten Abdul Aziz Hafiz, der an dem Projekt mitgewirkt hat.
Die virtuelle Ausstellung zu den Sony World Photography Awards 2022 ist hier zu sehen: www.worldphoto.org/virtualexhibition2022.
Alle Informationen zu den Gewinnerbildern sowie ausführliche Interviews mit den ausgezeichneten Fotograf:innen findest du hier: worldphoto.org/ceremony-2022.