Am Donnerstag, 19. Mai 2022, findet das fotoPRO-Webinar „Analoge Fotografie für (Wieder)Einsteiger“ statt. Der Fotokünstler und Journalist Steffen Schüngel teilt darin seine Faszination für die Analogfotografie. Im Interview vorab verrät er, wie er zur analogen Fotografie kam und warum er nie innerhalb seiner Komfortzone fotografiert.
Steffen, warum hast du dich für die analoge Fotografie als Medium entschieden?
Ich sehe mich persönlich nicht als „Spätberufener“. Viele Dinge ergeben sich einfach als Folge voneinander: Letztlich habe ich schon sehr lange fotografiert. Erst aus anderen Gründen und dann widerwillig, weil es zum Job gehörte. Ich war eher akustisch orientiert. Musik war viel mehr meine Welt als die Welt der Bilder. Die ersten Band- und Konzertfotos Mitte der 1980er Jahre entstanden, weil wir Musik gemacht haben und weder einen guten Fotografen kannten noch ihn hätten bezahlen können. Natürlich ergeben sich dann Anfragen von anderen Musikern und so tut man ihnen dann den Gefallen – im Gegenzug zu einem Satz Saiten oder einem fragwürdigen Mikrofonkabel.
Als Redakteur bei einem Musikmagazin gehörten später Bilder einfach dazu, wenn man eine Story erzählen will. Aber auch da war mir das Wort letztlich wichtiger und ich habe immer versucht, die Fotografiererei zu vermeiden. Der Wandel ergab sich erst, als mir meine Kameraausrüstung, die ich sehr günstig gebraucht übernommen hatte, bei einem Wohnungseinbruch gestohlen wurde. Ich musste plötzlich einen Haufen Geld in die Hand nehmen, um noch liefern zu können. Das hat sich für mich dann,wie eine Verpflichtung angefühlt: Wenn ich schon so viel Geld investiere, dann sollte ich vielleicht auch endlich einmal lernen, die Dinger richtig einzusetzen!
Ist der immer weiterwachsende Trend zum analogen Fotografieren nur eine Modeerscheinung oder steckt ein tieferer Wunsch nach Entschleunigung und etwas Fassbarem dahinter?
Fanatismus ist immer eine dusselige Idee! Für mich ist die Historie der fotografischen Techniken eine riesige Spielwiese. Es gibt wenige Medien, die sich schon vor der Digitalisierung so grundlegend verändert haben und so viele technische Möglichkeiten bieten. Zwischen dem Bildausdruck einer Kollodium-Nassplatte und modernen Filmen liegen Welten.
Die digitale Ebene bringt dann noch einmal ganz eigene Stärken und Möglichkeiten – aber auch Schwächen, weil nicht nur die Limitierung, sondern auch die handwerkliche Beherrschung der Möglichkeiten sich am Ende im fertigen Bild wiederfinden. Und letztlich ist es das Bild, das am Ende zählt, nicht allein die Aufnahme.
Von der Planung (oder Spontanität) über die Belichtung bis hin zur Wahl des Papiers, des Formats und des Rahmens gibt es unendliche Möglichkeiten sich zu entscheiden und das Bild voranzubringen oder es zu schwächen. Wobei auch das wie in der Musik ist: Ein gutes Bild überzeugt auch noch in einer lausigen Aufmachung, so wie ein guter Song auch auf der Wanderklampfe noch etwas transportiert. Richtig oder falsch ergeben sich ohnehin nur aus dem Blick des Schaffenden, wobei man durchaus auch einmal suboptimale Entscheidungen treffen kann, ohne es zu wissen.
Zwischen dem Bildausdruck einer Kollodium-Nassplatte und modernen Filmen liegen Welten.
Steffen Schüngel, FOtograf
Die volle Bandbreite der Möglichkeiten nutzen zu wollen, bringt ohnehin die Verpflichtung mit sich, auch eine Unzahl handwerklicher und technischer Fähigkeiten für sich zu erarbeiten. Spezialisierung macht die Beherrschung der Technik einfacher, beschneidet einen aber in den Möglichkeiten.
Analog/digital oder alles gemeinsam bleibt daher eine Entscheidung mit Blick auf die eigene Persönlichkeit und den unbedingten Willen zu lernen, ist aber weder Religion noch bindend. Letztlich ist es auch vollkommen in Ordnung, sich mit halbgaren Fähigkeiten zu begnügen, mit Glück Erfolge zu feiern und zufrieden zu sein. Man selbst ist der Maßstab!
Nun bist du als Fotograf ja nicht unbedingt dafür bekannt, Plattformen wie Instagram mit deinen Bildern zu fluten. Glaubst du nicht an die Wirkung dieser Medien für deine Bilder?
Videos auf YouTube zu veröffentlichen, war eine natürliche Folge meines eigenen Konsums. Ich neige dazu, mich kopfüber in Themen zu stürzen. Ich glaube, es hat Zeiten gegeben, in denen ich wirklich jedes Video zu analogen Themen geschaut hatte. Aber solche Angebote funktionieren nicht als Einbahnstraße. Ich kann nicht nur Wissen von anderen heraussaugen.
Da es damals kaum deutschsprachige Angebote in diesem Bereich gab, habe ich mich für diese Nische entschieden. Hätte ich das vernünftiger geplant, wäre englischsprachig mit Blick auf die Reichweite cleverer gewesen. Die Möglichkeiten, die ich habe, Inhalte zu produzieren, sind ebenfalls eingeschränkt. Wenn ich fotografiere oder Bilder in der Dunkelkammer oder am Rechner ausarbeite, will ich mich nicht nebenher auf einen Videodreh konzentrieren.
Daher sind meine Videos schon sehr techniklastig. Aber für die Zukunft sind da auch einige eher gestalterisch orientierte Videos in Planung. Am Ende zählt aber hier das, was die Zuschauer:innen mögen. Die Videos entstehen ja nicht zum Eigennutz. Praktisch ist allerdings, dass der Wunsch, neue Inhalte zu produzieren, auch dazu führt, dass ich mich neuen Themen widmen muss – einfach, weil es spannend ist und mich neugierig macht.
Immerhin ist das Angebot von PIXEL & GRAIN aus dem Kanal entstanden. Ich hatte das Bedürfnis, dem rein virtuellen Angebot auch etwas in der realen Welt zur Seite zu stellen. Bei meinen Bildern ist das genau andersherum: Da interessiert mich viel mehr der Weg, den ich mit einem Bild gemeinsam verbringe. Jede Ausarbeitung ist auch ein Lernprozess. Oft nehme ich mir Dinge vor, von denen ich bislang wenig Ahnung habe.
Ich fotografiere eigentlich zu selten in meiner Komfortzone. Daran muss ich dringend arbeiten. Auch die Angewohnheit, dass ein Bild, wenn es einmal fertig ist, beiseitegelegt werden kann, ist nicht förderlich. Aber so gibt es für mich nicht nur fotografisch, sondern auch beim Marketing noch viel zu lernen.
Wodurch zeichnen sich analog fotografierte Bilder aus? Was sind die besonderen Vorzüge im Vergleich zu digitalen Bildern?
Ich habe wenig Interesse daran, Abbildungen zu schaffen. Ich fühle mich daher dem Piktorialismus mehr verbunden als der neuen Sachlichkeit, auch wenn ich letztere nicht ausschließen und ersteren nicht zur Notwendigkeit erklären kann. Ich finde es spannend, Bilder zu erschaffen, die einer dann zukünftigen Erinnerung nahekommen.
Ich möchte so fotografieren und gestalten, dass das Ergebnis dem Bild entspricht, das in meinem Kopf entstehen würde, wenn ich mich später an einen Ort, eine Person, ein bewusst gestaltetes Set-up erinnern würde. Das kann sehr sachlich und natürlich sein, aber auch bestimmte Aspekte einfach ausblenden, unkenntlich machen oder anderes betonen. Daher kann ich mir auch in der nachträglichen Bearbeitung keine Grenzen setzen. Das Bild am Ende diktiert, welchen Weg ich gehen muss.
Fotograf:innen haben es etwas schwerer als Musiker:innen, weil sie bewusster konsumieren müssen. Bildbände und Ausstellungen werden einem weniger hinterhergetragen als neue Alben und Touren. Künstlerische Bildung und Verständnis für das, was man will, hängt aber stark vom Input ab. Aufdringliche soziale Medien sind wohl Fluch und Segen zugleich. Die Zahl inspirierender Aufnahmen, die mir über Instagram unter die Augen gekommen sind, ist riesig. Aber sie verbergen sich in einer noch gigantischeren Flut belanglosen Grundrauschens und selten sind es konstante Ströme einzelner Personen. Es taugt also kaum, um wirklich Orientierung zu finden.
Aber es dient dem Verständnis der eigenen Kriterien, wenn man herausfindet, welche Gemeinsamkeiten der Bilder es sind, die einen berühren. Wo bleibt der kuratierte Streamingdienst für Bilder? Es waren aber immer Bildbände und Ausstellungen, die mir letztlich den Kick für Erkenntnisse gegeben haben.
Wenn ich da konkret werden soll, muss ich zum einen eine Ausstellung von Andreas Gursky nennen, die mir klar gemacht hat, dass es für ich am Ende das Bild ist, das zählt und nicht die Realität. Zum anderen waren es sicher die Bildbände von Saul Leiter. Ganze Bücher voller „missratener“ Aufnahmen und dennoch eine schöner und berührender als die andere und mit einem Gefühl für Farben, das mich jedes Mal neu begeistert. Es kommt nicht darauf an, was man fotografiert, sondern was man auf dem Bild sieht.
Wie wird sich die analoge Fotografie in der Zukunft entwickeln?
Ich finde es genial, wenn Fotograf:innen einen inneren Antrieb haben langfristig wichtige Themen zur bearbeiten. Ich habe unendlichen Respekt vor jedem, der in Krisengebieten agiert oder sich sozialen Fragestellungen ernsthaft annimmt. Ich würde gerne so eine Seite in mir entdecken, aber vielleicht ergibt sich auch das als Folge von irgendwas. Es ist aber beruhigend, dass letztlich alle Bereiche kreativen Schaffens ihre Berechtigung haben und wertvoll sind.
Wichtig ist, dass Bilder berühren und bewegen können. Das kann Auseinandersetzung und Konfrontation bedeuten, aber auch Einkehr, Ruhe und Besinnung auf die eigenen Gedanken. Beides ist wichtig und sollte in Balance miteinander geschehen. Und daher hat das Erbauliche genauso seine Berechtigung wie das Aufrüttelnde. Früher haben Bilder von ungewohnten Orten oder Situationen die Menschen gefesselt.
Heute ist die Welt kleiner und vernetzter geworden. Fotograf:innen müssen weit mehr leisten, um ein beeindruckendes Bild zu schaffen, weil wir schon unglaublich viel gesehen haben. Die Ebene der Örtlichkeit hat daher an Bedeutung verloren. Aber Fotografie schafft ja immer auch eine Art Zeitkapsel. Schnappschüsse von vorgestern verzücken uns heute, weil wir aus unserem alltäglichen Erleben in eine andere Epoche schauen können. Ich finde diesen zeitlichen Aspekt hochspannend, wenn meine Bilder dann eine rückschauend interpretierte Möglichkeit der Realität abbilden: Nicht das, was war, sondern das, was ich wahrgenommen habe.
Vielen Dank für das Interview!
ÜBER STEFFEN SCHÜNGEL
Steffen Schüngel ist Inhaber von PIXEL&GRAIN und als freier Fotograf, Fotokünstler und Journalist bundesweit tätig. Nachdem er über 15 Jahre in der Medienbranche von der Werbung bis zur TV-Produktion vor allem in Köln und im Ruhrgebiet gearbeitet hat, zog es ihn 2013 an die friesische Nordseeküste. Dort war er als stellvertretender Chefredakteur für ein Lifestyle-Magazin tätig.
Steffen hat Fernsehsender und -sendungen betreut und Medienkonzepte für Firmen aus den unterschiedlichsten Branchen erstellt. Er hat Musik- und Medienevents umgesetzt und war mit dabei, als das Internet nach Europa kam. Kurzum: er hat medial auf allen Kanälen Gas gegeben.
Aber manchmal ist weniger eben doch mehr: Und so ist mit PIXEL & GRAIN ein Konzept entstanden, in dem bewusste Entscheidungen, Kreativität und der Raum für Ideen im Vordergrund stehen. Ohne esoterisch angehaucht zu sein, spielt das Thema Achtsamkeit und Entschleunigung eine wichtige Rolle in allen Angeboten von PIXEL & GRAIN.
In der fotoPRO+ Bonuswelt findest du einen weiteren Workshop von Steffen Schüngel zum Thema „Dunkelkammer“. Sichere dir jetzt deinen exklusiven Rabatt!