Der 1966 in Glasgow geborene Fotograf David Yarrow ist mit seinen visuell beeindruckenden Geschichten und Bild-Kompositionen weltweit bekannt geworden. Neben stimmungsvollen Naturaufnahmen und besonderen Tierporträts hat der zeitgenössische Fotokünstler unter anderem mit weltberühmten Models wie Cindy Crawford und Cara Delevingne, der Sängerin und Grammy-Preisträgerin Ciara und dem „Wolf of Wall Street“, Jordan Belfort zusammengearbeitet.
Die Galerie Camera Work zeigt Yarrows Werke vom 21. Mai bis zum 6. August 2022 in einer großen Einzelausstellung in Berlin. Wir hatten die Gelegenheit, im Vorfeld mit David Yarrow über seine Leidenschaft zur Fotografie, über visuelles Storytelling und über entscheidende Wegpunkte seiner Karriere zu sprechen.
Herr Yarrow, die Galerie Camera Work zeigt eine umfassende Ausstellung mit besonderen Werken aus Ihrer erfolgreichen Karriere. Gibt es darunter eine Aufnahme, die Ihnen besonders am Herzen liegt?
Es ist sehr schwierig, ein einzelnes Werk herauszustellen. Das ist so, als würde man ein Buch nach seinem Einband beurteilen, was bei Künstlern, die nur durch ein Gesamtwerk definiert werden können, schwierig ist. Die Entwicklung eines Künstlers lässt sich selten in einem einzelnen Werk erkennen, das nur einen Teil dessen Reise widerspiegelt.
Ich würde aber sagen, dass es wichtige Schritte und Ereignisse auf dieser Reise gibt, die die eigene Entwicklung in eine neue Richtung lenken. Die Zusammenarbeit mit Cindy Crawford bei der Produktion des Bildes 1992 war beispielsweise einer dieser Momente, denn ich weiß, dass ich vor einigen Jahren noch nicht den Mut gehabt hätte, diese Aufnahme zu machen. Der Erfolg dieser Zusammenarbeit hat meinen kreativen Mut beflügelt. Insofern ist es ein wichtiges Bild für mich.
Als 20-Jähriger ist Ihnen das legendäre Porträt des jubelnden Diego Maradona gelungen, der den kurz zuvor im Finale der Fußballweltmeisterschaft gewonnenen Pokal in die Höhe streckt. Wie war dieser Augenblick im Stadion für Sie?
Ich war während des Endspiels vor Ort und arbeitete für die London Times. Als 20-Jähriger war das aufregend. Ich erinnere mich, dass ich in der Nacht davor nicht schlafen konnte und dann tatsächlich sechs Stunden vor dem Anpfiff im Stadion war. Ich hatte das Glück, nach der Siegerehrung ganz nah an Maradona heranzukommen. Auf dem Spielfeld herrschte Chaos. Ich war dann einfach zur richtigen Zeit am richtigen Ort und hatte das ideale Objektiv dabei.
Es waren die Tage des analogen Films, sodass ich zwei Stunden nach der Aufnahme noch keine Ahnung hatte, ob ich den Moment auch tatsächlich gut festhalten konnte. Ich wusste nur, dass die Gelegenheit dazu da war. Um ehrlich zu sein, war das Ereignis so groß und beeindruckend, dass es schwierig war, einen rationalen Gedanken zu fassen. Ich erinnere mich, dass ich mich ein bisschen wie in Trance gefühlt habe. Da merkt man das Adrenalin, das solche Gelegenheiten mit sich bringt.
Auf dem Bild haben Sie Maradona nicht etwa in einer Nahaufnahme, sondern mitsamt der Stadion-Kulisse und den anwesenden Journalisten fotografiert. Inwieweit war Ihnen damals schon klar, dass der Aspekt des Storytellings für Ihre weitere Karriere ein zentraler Baustein sein wird?
Die Aufnahme stellt den Kontext zwischen Maradona und dem Stadion her und enthält mehrere Ebenen. 1986 war mir bereits klar, dass Bilder, die ein Gefühl für einen Ort vermitteln und eine Geschichte erzählen, besser ankommen als Teleaufnahmen ohne Ebenen. Damals habe ich mir aber noch keine Gedanken darüber gemacht, ob das ein Ansatz ist, der künftig meinen Stil prägen wird. Für mich war es einfach ein Bild, bei dem ich ein glückliches Händchen hatte. Ich glaube, es ist schwierig, als 20-Jähriger das Ziel zu erkennen, wenn die eigene Reise gerade erst beginnt.
Ihre künstlerischen Kompositionen wie die Aufnahmen „The Wolves of Wall Street“, „Get the Fxxx Off My Boat“ und „Hostiles“ sind geprägt von zahlreichen Details und einem außergewöhnlichen Storytelling. Die Bilder wirken wie eine perfekte Momentaufnahme. Nehmen Sie uns gerne einmal mit hinter die Kulissen. Was waren etwa die größten Herausforderungen bei der Umsetzung von „The Wolves of Wall Street“?
Die Idee für dieses Foto ging mir zuvor schon über ein Jahr lang durch den Kopf. Wir haben uns monatelang darauf vorbereitet. Mir war klar: Wenn wir eine Hommage an „The Wolf of Wall Street“ machen, dann muss die Umsetzung auch wirklich gut sein. Wenn man bedenkt, dass Martin Scorsese mit seiner herausragenden Bildsprache zu meinen Vorbildern gehört, stand von vorneherein fest, dass ich diese Aufnahme nicht auf die leichte Schulter nehmen darf. Zum damaligen Zeitpunkt war es die größte Produktion meiner Karriere.
Wir trafen uns in einem verlassenen Büro in Simi Valley, etwas außerhalb von Los Angeles. Das war ideal für die meisten der Beteiligten – einschließlich Jordan Belfort. Mein Ziel war es, so viele Anspielungen auf den Film wie möglich unterzubringen – Cameron Dallas, der den Goldfisch isst, Jordan mit seinem Stift in der Hand, die Marschkapelle, die Dollarnoten und der Glitzer.
Für mich war es unheimlich wichtig, was Jordan als der berühmteste Schauspieler der Welt am Ende von diesem Foto halten wird, auf dem eine Rolle zu sehen ist, die er selbst gespielt hat. Ohne seine Zustimmung würde die Aufnahme an Bedeutung verlieren. Daher war es ein großer Tag für mich, als er mir sagte, dass unser Werk das Wesen von Belfort sehr gut einfängt.
Steven Spielberg hat einmal gesagt, dass gute Ideen immer als schlechte Ideen beginnen, deshalb brauchen sie so lange. Dem stimme ich zu. Wenn ein Produktionstag 75.000 US-Dollar kostet, dann müssen wir sicherstellen, dass wir mutig an die Aufnahme herangehen und mit dem Auge eines Chirurgen für Details arbeiten. Wir haben die Kontrolle, also sollte auch die Komposition entsprechend stark sein.
Was muss eine gute Aufnahme in Ihren Augen mitbringen und transportieren?
Bilder müssen authentisch sein und etwas mitbringen, das noch darüber hinausgeht. Ein gutes Foto lässt sich nicht wiederholen und ist so aufgebaut, dass man es gerne über eine längere Zeit betrachtet. Fokussierung ist ein Schlüsselwort in der Fotografie. Durch die Fokussierung auf bestimmte Dinge lassen sich Aspekte im Bild entweder bewusst hervorheben oder ausschließen. Vor allem aber denke ich, dass ein gutes Bild mit dem Betrachter kommunizieren muss. Und das setzt eine emotionale Verbindung voraus.
Tiere spielen eine besondere Rolle in Ihren Werken. Was fasziniert Sie an der Kombination aus der Wildlife-Fotografie und Ihren künstlerischen Ideen?
Die Wildlife-Fotografie hat es schwer, als Kunst angesehen zu werden, da sie in den meisten Fällen zu nah an der Realität ist. Ich erinnere mich, dass der Vorsitzende der Tate Galerie in London zu mir sagte, sein Komitee habe kein Interesse an diesem Genre, weil es nicht zur Kunstwelt gehöre. Ich werde nicht gerne als Wildlife-Fotograf bezeichnet. Ich bin einfach nur ein Fotograf.
Die überwiegende Mehrheit der Bilder, die in der Wildnis entsteht, ist langweilig und nicht authentisch – das schließt eine große Auswahl meiner eigenen Bilder mit ein. Mir ist bewusst, dass ich kein Künstler bin, wenn ich nach Ostafrika fahre und mit einem langen Teleobjektiv eine Großkatze fotografiere. Das macht mich lediglich privilegiert. Was mich viel mehr fasziniert und begeistert, ist die Möglichkeit, Bilder auf eine Art und Weise einzufangen, die die Menschen vielleicht so noch nie gesehen haben.
Zu Ihren Werken gehören viele Bild-Kompositionen, in denen Tiere gemeinsam mit Menschen zu sehen sind. Wie gelingen Ihnen solche Aufnahmen? Und wie haben weltberühmte Models wie Cindy Crawford und Cara Delevingne reagiert, als Sie Ihnen gesagt haben, dass sie neben Wölfen und Löwen posieren werden?
Nicht jede Aufnahme lässt sich erfolgreich umsetzen. Häufig scheitern wir sogar. Doch gerade durch das Scheitern lernen wir, beim nächsten Mal erfolgreich zu sein. Wenn sich solche Kompositionen ähnlich einfach realisieren ließen, wie viele der eher allgemeinen Bilder von Elefanten und Löwen, dann würden wir sicherlich mehr davon sehen. Die Umsetzung solcher Bilder, die Menschen und Tiere kombinieren, besteht aus zwei Teilen: der kreativen Konzeption und der Ausführung. Auch wenn wir häufig einen Weg finden, um unsere Ideen umzusetzen, suchen wir immer wieder nach guten Ansätzen, um Menschen und Tiere zusammenzubringen – das ist die größte Hürde.
Die Models, mit denen wir arbeiten, vertrauen mir und dem Team. Vertrauen entsteht, wenn man sich schon lange kennt. Wir würden niemals die Sicherheit von irgendjemandem aufs Spiel setzen – niemals.
Gibt es eine bestimmte Bild-Idee, die Sie in Zukunft gerne noch umsetzen würden?
Wir arbeiten an unserer Anthologie zum Wilden Westen. In Texas denke ich immer an die Geschichte der Texas Rangers, die in der unsicheren Zeit nach dem Bürgerkrieg für ein Mindestmaß an Recht und Ordnung gesorgt haben. Aber um ein solch historischen Werk in Texas zu realisieren, bedarf es einer Menge Vorbereitung und Recherche – vor allem, weil ich Schotte bin.
Ich sehe Pferde, Texas Rangers, eine alte Straße im Wilden Westen und vielleicht schlechtes Wetter. Die Aufnahme soll wie aus einem Film wirken und eine Geschichte erzählen.
Herr Yarrow, vielen Dank für das Interview.
LINK ZUR WEBSITE VON DAVID YARROW
https://davidyarrow.photography/
INFOS ZUR AUSSTELLUNG BEI CAMERA WORK
Camera Work
Kantstraße 149
10623 Berlin
Einzelausstellung „David Yarrow“
21. Mai bis 6. August 2022
Dienstag bis Samstag
11 bis 18 Uhr
Eintritt frei
www.camerawork.de