Der Australier George Byrne ist bekannt für seine großformatigen Fotografien, die er bevorzugt mit Mittelformat-Kameras aufnimmt. Im neu erschienenen Bildband „Post Truth“ von George Byrne sind postmoderne Traumlandschaften in Pastell versammelt, die der Fotograf allesamt in Los Angeles entdeckt hat. Entstanden sind Aufnahmen im Grenzbereich zwischen Realität und Fantasie.
Im September 2010 zog George Byrne nach Los Angeles. Er blickte aus dem Flugzeugfenster und wurde vom Ausmaß der städtischen Zersiedelung überrascht: Überall sah er die riesigen Flächen der Vorstädte, die rosa-grau und staubig schimmernd unter ihm lagen. „Sogar von dort oben fand ich es seltsam schön. Als ich später am selben Tag zum ersten Mal durch die Straßen von L.A. fuhr, war ich wie verzaubert. Es gab so viel Licht, dass die Straßenlandschaften zu zweidimensionalen, kantigen Ausschnitten zu werden schienen. Schatten zerschnitten den offenen Raum, und gelegentlich schwebten Gestalten wie Geister durch ausgewaschene pastellfarbene Ebenen“, erinnert sich Byrne im Vorwort seines Buches.
Dieser erste Tag in Los Angeles legte den Grundstein für seine künstlerische Praxis. Jene Eindrücke aus dieser Zeit bilden die Essenz dessen, was im Bildband zu sehen ist. George Byrne verwandelt das, was der Architekt Rem Koolhaas einst als »Junkspace«, als Unorte der gebauten Modernisierung, bezeichnete, in bonbonfarbene Traumlandschaften. Seine zweidimensional wirkenden Aufnahmen sind beherrscht von geometrischen Formen, dem Spiel aus Licht und Schatten, Pastellfarben. Straßenschilder, Palmen und Passanten, die auf seinen Bildern zu Statist:innen werden, tauchen regelmäßig auf und machen klar, dass es sich um reale Szenerien handelt. Ein Umstand, der bei all dem Bonbonrosa, Flieder und Lindgrün durchaus in Vergessenheit geraten könnte. „Post Truth“ von George Byrne bewegt sich stets im Grenzbereich zwischen Realität und Fantasie.
Byrne schafft großformatige Fotografien, die architektonische Oberflächen und Landschaften als malerische Abstraktionen darstellen.Seine Nahaufnahmen, die er oft mitten auf der Straße macht, zeigen eine sorgfältige Aufmerksamkeit für die geometrischen Fragmente seiner städtischen Umgebung, die sich in subtilen Linien und unerwarteten Schatten zeigen, die pastellfarbene Wandflächen durchschneiden und den weichen Himmel von grobporigen Fassaden, Palmen und Asphalt trennen. Mitunter erinnern seine Werke auch an das Schaffen bekannter Maler, etwa an Wasily Kandinsky: Bilder wie „Blue Awning with Yellow“ (2017) oder „Corner Composition, Palm Springs“ (2017) passen zu dessen geometrischer Abstraktion.
Minimalistische Collagen
Indem er die urbane Landschaft zu minimalistischen Collagen aus Farben und geometrischen Fragmenten zusammensetzt, schafft Byrne Oasen in der Metropole, die die Formbarkeit des fotografischen Mediums meisterhaft nutzen. Byrnes Kompositionen lassen an die Art Déco-Architektur von Miami Beach denken, an Memphis-Design, David Hockney oder Ed Ruscha. Zugleich greifen sie die spezifische Ästhetik unserer heutigen, von Instagram geprägten, visuellen Kultur auf. Sie sind erfüllt von postmoderner Künstlichkeit – und dennoch macht es großen Spaß, immer wieder neue Details auf den Bildern zu entdecken.
Eines dieser Details ist das Spiel mit Licht und Schatten: Byrne setzt Schattenwürfe gezielt in Bildkompositionen ein, um den Aufnahmen Spannung zu verleihen. So sorgt der Schatten oftmals dafür, dass aus einem gelungenen Bild eine meisterliche Fotografie wird. Zudem überlässt Byrne nichts dem Zufall. Ein Beispiel dafür ist seine Aufnahme “Cowboy” aus dem Jahr 2015: Ein Mann mit Cowboyhut geht auf dem Bürgersteig entlang einer bemalten Hausfassade. Die Wandmalerei zeigt Häuser und kleine Wege, die an griechische Örtchen, vielleicht auf Santorini erinnern, und sind in blau und weiß gehalten.
Das blaue Sonnendach über einem Fenster in der Wand fügt sich nahtlos in das Gemälde ein. An sich wäre das bereits ein gutes, mehrschichtiges Motiv – der Spaziergänger vor der bemalten Wand -, doch Byrne hebt es auf eine neue Ebene, indem er exakt den Moment abgewartet hat, als der Cowboy in den Schatten des Sonnendachs trat, und dann auslöste. Damit kehrt er den Klassiker einer Person, die von einem Lichtstrahl beleuchtet und in Szene gesetzt wird, um. Der Mann steht im Schatten, umgeben von grellem kalifornischen Sonnenlicht, und zieht deshalb den Blick auf sich.
Der Fotograf
George Byrne (*1976, Sydney), machte 2001 seinen Abschluss am Sydney College of the Arts und reiste viel, bevor er sich 2010 in Los Angeles niederließ. Heute ist er bekannt für seine großformatigen, mit Mittelformat-Filmkameras aufgenommenen Fotografien. Byrne hat international ausgestellt, 2020 erhielt er den Preis als „Minimalist Photographer of the Year“.
Der Bildband
George Byrne: Post Truth
Hatje Cantz Verlag
144 Seiten, 54 Euro
ISBN 978-3-7757-5253-4