Grenzen überschreiten. Neues entdecken. Die Eltern herausfordern: Die Pubertät ist eine Zeit des Übergangs, in der Raum für Entwicklung unabdingbar ist. Was aber, wenn man als Teenager genau dann die Pubertät durchlebt, wenn Corona und Pandemie das Leben bestimmen? Alexandra Lechner hat ausgehend von dieser Frage zwölf Jugendliche porträtiert. Im Interview erzählt sie von ihrem Projekt „Zwischenzeit“, welche Herausforderungen es zu meistern gab und warum die Jugendlichen sie beeindruckt haben.
Interview mit Alexandra Lechner
Frau Lechner, für das Projekt „Zwischenzeit“ haben Sie im vergangenen Sommer zwölf Teenager:innen porträtiert. Wie sind Sie auf die Idee zu diesem Projekt gekommen?
Bereits im ersten Lockdown der Pandemie habe ich eine Porträtserie fotografiert, die „Traumbrillen“. Dabei ging es um die Wünsche und Sehnsüchte von Menschen, die im Lockdown zu Hause bleiben mussten. Je länger die Phase der Einschränkungen andauerte – durchbrochen von Lockerungen im Sommer –, desto mehr beschäftigte mich die Frage, wie es den Teenagern geht. Wie erleben sie diese Zeit? Die Pubertät ist doch davon geprägt, sich loszulösen und Grenzen auszuloten, und vieles davon ist unter den Pandemiebedingungen nicht möglich. Der Titel „Zwischenzeit“ ist bewusst zweideutig gewählt: Die eine Zwischenzeit betrifft die Pandemie. Die andere ist die Zeit des Erwachsenwerdens – also eine Zeit zwischen Kindheit und Volljährigkeit.
Welche Jugendlichen haben Sie für das Projekt ausgewählt?
Ich wollte vor allem den Jugendlichen ein Gesicht geben, die in vielen öffentlichen Debatten nicht vorkamen. Die, die sich still in Einschränkungen fügten und Nischen für ein bisschen Freiheit suchten. Für meine Auswahl habe ich Mädchen und Jungen im Alter zwischen 13 und 16 angesprochen – und natürlich deren Eltern. Die Entscheidung über die Teilnahme haben aber die Jugendlichen selbst getroffen.
In welchem Zeitraum haben Sie die Jugendlichen mit der Kamera begleitet?
Die Serie habe ich innerhalb von wenigen Wochen realisiert, nachdem ich dafür von der Hessischen Kulturstiftung ein Stipendium im Rahmen des Programms „Kulturpaket II“ erhalten hatte. Die Protagonist:innen habe ich nach den Vorgesprächen je einmal zum Fotografieren getroffen.
Wie lief das Projekt ab?
Bei den Fototerminen habe ich mir viel Zeit genommen, um mit den Mädchen und Jungs zu sprechen, ihnen Fragen zu Schule, Familie und Freunden zu stellen. Was bewegt sie? Was wünschen sie sich? Daraus haben wir gemeinsam die Bildideen für die Story entwickelt. Wo und wie sie fotografiert werden wollten, haben die Teenager maßgeblich selbst vorgegeben. Ich habe als Fotografin, die es gewohnt ist, on Location zu fotografieren, darauf reagiert und mit Blick auf die Gesamtserie versucht, einen lebendigen und nicht inszenierten Look zu erzeugen.
Die Jugendlichen haben Sie nah an sich herangelassen. Wie haben Sie das Vertrauen aufgebaut?
Für mich war es sehr wichtig, die Mädchen und Jungen erzählen zu lassen, ihnen Raum zu geben und ihre Wünsche und Vorstellungen für „ihre“ Bilder anzunehmen. Bis auf die grobe Struktur der Serie – klares Porträt und lebendige Reportage mit Text – hatte ich kein fertiges Bildkonzept im Kopf, sondern habe situativ und spontan gearbeitet. Das war in diesem Fall sehr wichtig. Es hat den Jugendlichen das Gefühl vermittelt, dass ich sie ernst nehme – und sie sich so zeigen können, wie sie es gut finden.
Ich sehe in der Serie Jugendliche, die sehr selbstbestimmt ihre persönlichen Wege suchen.
Fotografin Alexandra Lechner
Worauf haben Sie beim Fotografieren geachtet?
Die besondere Herausforderung war, die Close-up-Porträts in einem einheitlichen Look zu fotografieren. Sie sind nicht im Studio entstanden, sondern zu Hause bei den Teenagern. Um das zu schaffen, war doch einiges an Improvisation nötig. Und wir haben öfter mal Möbel gerückt, um meine Lampen zu positionieren.
Sie haben den Porträts Reportageaufnahmen gegenübergestellt. Warum haben Sie sich für diese Bildpaare entschieden?
Die Porträts zeigen sehr direkte Momentaufnahmen. Ich wollte zeigen, wie der Übergang vom Kind zum Erwachsenen sich in den Gesichtszügen, den Proportionen und im Blick zeigt. Die Gegenüberstellung dient der Verdeutlichung. Die lebendigen Szenen ermöglichen eine umfassendere Darstellung, mit mehr Bewegung und mehr Geschichte erzählen. Das Zusammenspiel von Porträt und Reportage erschließt meiner Wahrnehmung nach einen umfassenderen Einblick in die Persönlichkeit der Jugendlichen.
Gibt es Unterschiede in der Arbeit mit Jugendlichen und in der mit Erwachsenen?
Auf jeden Fall. Jugendliche sind – gerade an der Schwelle oder mitten in der Pubertät – sehr sensibel. Und manchmal auch nicht so gut drauf. Ich habe viel mehr erklärt, besprochen und verdeutlicht, welche Art von Foto was ausdrücken kann. Für mich hat die Arbeit bedeutet, mich als erwachsene Frau wieder in das Alter einzufühlen, mich zu erinnern, wie es mir mit 14 Jahren ging. Dieser Perspektivwechsel war mir wichtig: Er hat dazu beitragen, die Nähe zu den Jugendlichen zu schaffen.
Welche Botschaft steckt in „Zwischenzeit“?
Meiner Wahrnehmung nach zeigt die Serie, dass viele Jugendliche deutlich resilienter sind, als man vielleicht annimmt. Auch wenn die Auswahl nicht repräsentativ ist: Ich sehe in der Serie Jugendliche, die sehr selbstbestimmt ihre persönlichen Wege suchen. Und wie sie es schaffen, trotz aller der Einschränkungen in jetzt bald zwei Jahren Pandemie Freiräume zu erobern.
Hat Sie eine der Geschichten der Jugendlichen besonders berührt? Wenn ja, welche?
Für mich hat jede Geschichte ihre besonderen Momente. Was mich aber am meisten beeindruckt hat, waren die Offenheit und das Selbstbewusstsein, mit dem die Mädchen und Jungs mir gegenübertraten.
Wird es eine Ausstellung oder einen Bildband über das Projekt geben?
Einen Teil der Porträts, die Mädchen, habe ich bereits im Herbst 2021 in der Ausstellung „she*“ des Female Photoclub in Frankfurt gezeigt. Für das Gesamtprojekt bin ich noch auf der Suche nach geeigneten Möglichkeiten.
Weitere Informationen zum Projekt findest du hier: „Zwischenzeit“