Hohe ISO-Zahlen und Stabilisatoren, die Fotografieren ohne Stativ selbst bei ungünstigem Licht scheinbar problemlos ermöglichen. Neue Sensoren, die Belichtungen aus der Hand von über einer Sekunde mühelos scharf rechnen. Bringt der Einsatz von Stativen überhaupt noch einen Mehrwert für unsere Fotografie? Micha Pawlitzki sagt, warum das Dreibein für ihn bei vielen Aufnahmen oftmals unverzichtbar ist.
Es gibt Situationen, in denen mich mein Stativ mit seinem Gewicht und in seiner Unhandlichkeit grandios aufhält und nervt (vgl. Bild 1). Trotzdem bin ich ein brennender Verfechter der Stativfotografie und arbeite trotz aller Einschränkungen aus voller Überzeugung mit Stativen. Ich schätze einfach die offenkundigen Vorteile: dass mir das Verwenden eines Stativs absolute Schärfe in meinen Bildern garantiert und dass ich problemlos mit Belichtungszeiten von (bis zu) mehreren Minuten arbeiten kann (vgl. Bild 2).
Zwar höre ich von Gesprächspartner:innen regelmäßig den Einwand, dass aus der Hand fotografierte Bilder selbst bei 10.000er-ISO-Werten und schwindendem Licht im Kameradisplay doch einwandfrei und 100-prozentig scharf ausschauen. Aber für einen großformatigen Druck, zum Beispiel für Kalender, Ausstellungen oder ein Fotobuch, sind diese Daten meistens doch enttäuschend schlecht. Bildlektor:innen können ein Lied davon singen, dass sie geniale Aufnahmen oft nicht verwenden können, weil ihnen die notwenige (Stativ-)Schärfe fehlt.
Stativ ist Pflicht
Lass dich also nie von Ihrem schöngerechneten Display täuschen! Lass dir auch von niemandem den Floh ins Ohr setzen, dass aus der Hand fotografierte Bilder die gleiche Schärfe zeigen wie vom Stativ. Denn nach wie vor gilt: Momentan bringt dir das Verwenden eines Stativs in den meisten Fällen noch klar sichtbare Vorteile. Weil ich persönlich höchsten Wert auf Qualität in meinen Bildern lege, fotografiere ich alle (!) meine Bilder mit einem Stativ. So kann ich die ISO-Zahlen klein halten (50 oder 100) und bei Bedarf auch noch lichtschluckende Filter oder Teleobjektive (vgl. Bild 3) verwenden, ohne dass ich höhere ISO-Zahlen und damit qualitative Einbußen in Kauf nehmen muss.
Zudem habe ich eine Garantie, dass meine Bilder nicht plötzlich doch leichte Unschärfen aufweisen, die im kleinen Display schlecht sichtbar waren, oder dass bei Makroaufnahmen der Schärfepunkt nicht doch um ein paar ärgerliche Millimeter falsch liegt. Das für mich jedoch noch wichtigere Argument für die konsequente Verwendung eines Stativs ist, dass ein Stativ ein perfektes Hilfsmittel für eine bessere Bildgestaltung sein kann. Das schnelle Aus-der-Hand-Fotografieren verleitet zu rasch geknipsten Bildern, zu einem zu frühen Weitergehen zum nächsten Objekt, zu sehr viel Ausschuss. Verschiedene, bessere Perspektiven auf ein Motiv können so oft nicht in der nötigen Muße ausgelotet werden.
Das Stativ als Schlüssel zum Erfolg
Für mich ist das ruhige „Stativ-Optimieren“ eines Motivs ein Schlüssel zum Erfolg: Ein paar Schritte vor, einer nach links, nochmal etwas zurück, einen Tick höher – so lange, bis das Foto für mich stimmig und perfekt ist, bis ich störende Elemente aus dem Bild genommen, bis ich das gesamte Motiv ausbalanciert habe. Ohne Stativ würde ich mir die Zeit für diese Mikrobewegungen und für dieses ganz feine Austarieren des Motivs nicht nehmen, wie etwa Bild 4 zeigt.
Weil mich regelmäßig meine Workshopteilnehmer:innen nach Beratung zum Kauf und für die Verwendung von Stativen fragen, hier meine wichtigsten Tipps:
- Falls du noch ein Stativ aus den 1980er- oder 1990er-Jahren haben: Kaufe dir ein neues Stativ! Alte unhandliche Stative (bei denen beispielsweise oft die drei Beine untrennbar miteinander verbunden sind) können einem das Fotografieren wirklich verderben.
- Überlege vor dem Kauf eines neuen Stativs genau, wofür du es primär brauchst: Reisen, Studio, Makro etc.? Danach richten sich dann Stabilitätsbedarf, Bewegungsmöglichkeiten und Gewicht des Stativs.
- Wie kompakt soll/muss dein Stativ sein: drei oder vier Segmente (Gesamtlänge kürzer, aber längerer Aufbau)? Welches Material brauchst du? Karbon ist wunderbar leicht; Aluminium zwar schwerer, aber dadurch auch bruchsicherer und natürlich günstiger.
- Meist wird beim Stativkauf die gezielte Wahl des Stativkopfs vernachlässigt. Ich selbst bevorzuge leichtgängige Kugelköpfe mit Friktionseinstellungen und zwei Einkerbungen für Hochformate. Abraten würde ich Fotograf:innen für die meisten Anwendungen von Videoneigern, die Einschränkungen im Bewegungsumfang haben. Auch die besten Getriebeneiger sind nur etwas Geniales für den, den die nötigen drei Einstellhebel nicht durcheinanderbringen.
- Welche Brennweiten hast du und wie hoch ist das Maximalgewicht deiner Kamera? Auch danach richtet sich die Ausführung deines Stativkopfs. Zu kleine Köpfe können größere Teleobjektive bei der Aufnahme mitunter durchsacken lassen; zu große Köpfe sind schlichtweg unnütz schwer.
- Rechne bei der Höhe des gewünschten Stativs immer ein, dass du nie deine volle Körpergröße brauchst. Auf dem Stativ sitzt noch der Stativkopf, darauf die Kamera. Und deine Augen sitzen auch nicht auf dem Kopf, sondern einige Zentimeter darunter. Wenn du also 175 Zentimeter groß bist, brauchst du sicher kein 175 Zentimeter großes Stativ und kannst mit einer kürzeren Variante Gewicht sparen.
- Nimm vor dem Kauf im Fachhandel Stative verschiedener Hersteller in die Hand, und teste die Funktionen. Jeder Anbieter hat kleine Besonderheiten, die dem einen liegen, den anderen aber täglich neu stören.
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