Nichts ist langweiliger, als Motive und Ideen anderer nachzufotografieren. Warum wird in der Fotografie trotzdem so viel imitiert und kopiert? Ein Weg aus dem Dilemma von Kolumnist Micha Pawlitzki.
Eine Frage: Der Pragser Wildsee in Südtirol, die Trolltunga-Klippen in Norwegen, Virgin Island’s Beach in der Bretagne, der Fjaðrárgljúfur-Canyon in Island, der Hindutempel Pura Lempuyang auf Bali oder die Lavendelfelder in der Provence – was haben diese Orte gemeinsam? Sie alle mussten wiederholt, teilweise dauerhaft gesperrt, mit meterhohen Zäunen und saftigen Eintrittsgeldern versehen werden, weil sie täglich von Tausenden Fotofreaks überflutet wurden.
Kilometerlange Staus, Parktumulte, Fäkalien und Müll am Wegesrand, zertrampelte Natur und Partyatmosphäre vor Ort haben aus den Kleinoden ein abschreckendes Chaos gemacht. Anwohner:innen, Ranger:innen und Tourismusbehörden sprechen von „Zombie-Apokalypse“ und „Alptraum“.
Den Zuständen zum Trotz
Obwohl diese Zustände bekannt sind, pilgern Zehntausende zu den Orten, die durch soziale Medien wie Instagram bekannt wurden. Es hat sich ein fotografischer Massentourismus entwickelt, bei dem Instagramability der einzige Treiber zu sein scheint: Laut einer Studie der Schofields Insurance waren bereits im Jahr 2017 für 40 Prozent der 18- bis 33-Jährigen nicht mehr das Erleben anderer Kulturen oder der Natur ausschlaggebender Faktor ihrer Reiseentscheidung, sondern die vorgegaukelte Einmaligkeit und Einsamkeit der Fotomotive. In der schönen neuen Like-Welt lassen sich freie Menschen ihre Reisen tatsächlich von den Algorithmen der Tech-Unternehmen diktieren.
Das narzisstische „Ich war auch hier!“ und das zweifelhafte Geltungsbedürfnis, auch etwas Besonderes fotografiert zu haben, unterdrücken jede Selbstreflexion, dass man mit diesem Verhalten letztlich nichts anderes ist als ein fotografischer Lemming. Ein Lemming, der entlang einer inspirationslosen Bucket List ohne eigene Idee und ohne eigenen Anspruch Motive kopiert und drei Minuten später die schlaffe Kopie als großartige Einmaligkeit postet. Wenn Instagram zum Stichwort Pragser Wildsee über 350.000 fast identische Bilder liefert, ist das Besondere längst zum Banalitätszwerg reduziert worden.
Erschaffe Neues!
Gibt es überhaupt einen guten Ausweg aus dieser Situation? Natürlich hat jeder Mensch das Recht, jedes noch so abgelegene Motiv zu besuchen, zu fotografieren, zu posten. Gut gemeinte Ideen, Fotografinnen von Locations fernzuhalten, dürften im Sand verlaufen. So beschreitet die neuseeländische Tourismusbehörde einen interessanten Weg mit ihrer Kampagne „Do Something New!“. Die Behörde schreibt, dass sie restlos gelangweilt ist von den immer gleichen Instagram-Postings und seelenlos kopierten Fotos der besten Locations. Daher bittet sie Tourist:innen, nicht unter dem Einfluss sozialer Netzwerke zu reisen, und schlägt den Reisenden vor, ganz neue Motive zu finden.
Was sich zunächst sinnvoll anhört, könnte schnell zurückschlagen und das eigentliche Problem noch verschärfen: Denn wenn nun auch die allerletzten unentdeckten Locations heimgesucht werden, ist es nur eine Frage kürzester Zeit, bis auch sie Opfer dieser „Ich bin toll, ich war auch hier“-Jagd, dieses sinnfreien Abhakens bestimmter Motive werden.
Kopien wirken fad
Was hat das mit dir zu tun? Ich habe kürzlich die ca. 17.000 eingesandten Bilder eines renommierten Fotowettbewerbs juriert und merkte, dass ich keine Sekunde bei bekannten Instagram-Bildern hängen blieb; nicht aus Trotz oder Ablehnung, sondern weil sie bei mir einfach durchs Raster tausendfach gesehener Motive fallen. Ja, sie mögen als ursprüngliches Motiv faszinierend sein, aber in der x-ten Kopie wirken sie doch eher fad.
Wenn du Anspruch an dich und deine Fotografie hast, dann mache dich frei von Instagram & Co. Vergiss die gleich inszenierten Yoga-vor-Bergkulisse-Schnappschüsse, die zehntausendfach identischen Steg-im-See-Panoramen, die neuesten Architektur-Locations. Mache dich frei von dem Druck, genauso toll wirken zu wollen wie scheinbar erfolgreiche Sternchen. Mir geht es nicht um einen Boykott sozialer Medien, sondern ich möchte dir Mut machen, dich wieder auf deine eigene Fotografie zu konzentrieren, auf deine Ideen, auf deine Fähigkeit, fotografisch Neues zu erschaffen, statt blind zu kopieren.
Vielleicht gönnst du dir auch eine Auszeit auf deinem Handy und suchst nicht in den sozialen Medien nach neuen Bildern und Locations. Suche außerhalb des Smartphones, so richtig draußen, auf deinen Ausflügen und Reisen, aktiv und selbstbestimmt. Wenn du es dann noch schaffst, nicht sofort jedes neue Motiv inklusive GPS-Position zu posten, bist du wieder bei dir und deiner Fotografie angekommen.