1983 lebte der Fotograf Jürgen Escher für zwei Monate in dem kleinen Bergdorf Kalochorafitis auf Kreta. 2021 besuchte Escher das Dorf erneut, sprach mit den Menschen, fotografierte den Alltag. Seine Arbeiten von damals und heute gewähren tiefe Einblicke in die Kultur und das Dorfleben von Kalochorafitis.
1983: Griechenland war seit zwei Jahren der EG beigetreten – mit großen Folgen für das Dorf Kalochorafitis auf Kreta. Die jungen Leute waren fortgezogen, um sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen, die Alten blieben in ihrer Heimat zurück. Während eines Sommerurlaubs auf Kreta kam der Fotograf Jürgen Escher zum ersten Mal in das kleine Bergdorf, das in den Ausläufern des Ida-Gebirges liegt. Kein Ortsschild wies auf Kalochorafitis hin. Es bestand aus wenigen Häusern rechts und links der Straße. „Schon nach kurzer Zeit wurde ich von den Familien in ihre Häuser eingeladen“, erinnert sich Escher rund 40 Jahre später.
Die bäuerliche Lebensweise der Menschen faszinierte Jürgen Escher. Ein halbes Jahr nach seinem Urlaub kam er 1983 erneut nach Kalochorafitis, begleitete die Menschen in ihrem Alltag, schaute in ihre Gesichter, gab ihnen eine Stimme. Wie wirkte sich der Umbruch auf das Leben der Dorfbewohner:innen aus? Die Antwort gaben die Menschen selbst. „Je länger ich im Ort lebte, desto mehr Bewohner fragten mich irgendwann nach einem Fototermin“, schreibt Escher in seinem Buch „Kalochorafitis“. In seinen Fotografien und Interviews blickt er hinter den Vorhang großer gesellschaftlicher Ereignisse und auf die Veränderungen ihres alltäglichen Lebens.
In der Tradition humanistischer Fotografie
2021 besuchte Escher Kalochorafitis noch einmal, wieder sprach er mit den Menschen, wieder fotografierte er das Leben, wie es sich seither dort gewandelt hat. Damals und heute gewähren seine Arbeiten tiefe Einblicke in die Kultur und das Dorfleben von Kalochorafitis. Und das Leben hat sich verändert. Die Landwirtschaft bietet inzwischen ein besseres Einkommen. Viele junge Menschen kehren zurück, bringen Ideen und Lebensweisen aus der Stadt mit, beleben und bewahren zugleich alte Traditionen. Und nach vielen Jahren gibt es jetzt wieder Familien mit Kindern im Dorf.
Jürgen Eschers Buch „Kalochorafitis“, ausschließlich in Schwarz-Weiß fotografiert und brillant im hochwertigen Duplexverfahren gedruckt, steht in der langen Tradition der humanistischen Fotografie. Seine Bilder schlagen eine Brücke über fast vier Jahrzehnte und zeigen, dass das Leben der Menschen in Kalochorafitis mit dem heutigen Europa eng verbunden ist. Und damit ist das Buch weit mehr als eine nostalgische Zeitreise. Der Bildband ist eine berührende Erzählung von der Suche nach Heimat und Sinn.
Der Fotograf
Jürgen Escher, Jahrgang 1953, ist seit 1983 als freier Fotojournalist und für verschiedene Hilfsorganisationen, Verlage und Redaktionen weltweit tätig. Von 1987 bis 1992 war er mit einem Lehrauftrag für Fotojournalismus an der Bielefelder Fachhochschule betraut. 1989 wurde er in die Deutsche Fotografische Akademie (DFA) berufen. Sein besonderes Interesse gilt dem Menschen in verschiedenen Lebenssituationen, etwa in seiner Dokumentation „ÜberLeben“ zum 40-jährigen Bestehen des Vereins Cap Anamur oder auch „Tshukudu“ über junge Männer im Kongo, die mit selbst gebauten Holzrollern hunderte Kilo schwere Lasten transportieren.
www.juergenescher.de
Der Bildband
Kalochorafitis – Ein Bergdorf auf Kreta 1983 / 2021
Jürgen Escher
Edition Bildperlen
144 Seiten, 35 Euro
978-3-96546-511-4
www.bildperlen.de