Auch wenn mittlerweile alle Zeichen auf Frühling stehen, werfen wir noch einen letzten Blick zurück auf Eis und Schnee. Mit dem Fotografen Jörg Rubbert gehen wir mit “Berliner Winternächte” auf eine kurze Zeitreise in die beiden vergangenen Winter, als nicht nur Gefrierschranktemperaturen herrschten, sondern auch die Corona-Pandemie das öffentliche Leben fest im Griff hatte.
Die zwei zurückliegenden Corona-Winter würden wir wahrscheinlich alle gern aus unserem kollektiven Gedächtnis streichen. Vor allem den Winter 2020/21, der Gefrierschranktemperaturen, viel Schnee, Ausgangssperren und Kontaktbeschränkungen mit sich brachte. Dies waren die äußeren Rahmenbedingungen, als ich mich im Januar, Februar und Dezember 2021 mit meiner analogen Kleinbildkamera Minolta CLE (baugleich mit der Leica CL) aufmachte, um in einer Schwarz-Weiß-Serie die Stimmung im nächtlichen Berlin einzufangen.
Stillstand und verwaiste Plätze
Ich wollte erkunden, wie die Stadt bei solchen Witterungsverhältnissen funktioniert, wollte den von extremer Kälte beeinträchtigten Großstadtrhythmus erfassen. Die strengen Winter wurden durch die Pandemie nochmal verschärft: Leere und Verlassenheit. Keine Menschenseele. Eine Stadt im Stillstand. Melancholie pur.
Die Bilder zeigen weihnachtlich geschmückte, aber völlig verwaiste Plätze; Werbescreens, die ihre Werbebotschaften in eine kalte Schneelandschaft aussenden. Dazwischen finden sich Hinweise auf den Grund dieser Leere: „STAY AT HOME“ steht auf einem Laufband oben an einem Hochhaus an der East Side Gallery. In einem Schaukasten aus den 60ern in der Frankfurter Allee wirbt eine Corona-Teststation und links daneben das Versprechen eines Dating-Portals: „Der Winter wird heiß“.
Dem (Corona-)Winter muss man sich stellen, ob man will oder nicht. Er bedeutet Herausforderung: Die gewohnte Umwelt erscheint als gewandeltes, ungewohntes Terrain, fest im Griff des winterlichen Wetters. Zu später Stunde und bei Eiseskälte trifft man nur noch wenige Passanten. Ein einsamer Musiker spielt in der Friedrichstraße auf seinem Keyboard und wartet vergeblich aufs Publikum. Das Naturkundemuseum zeigt eine Ausstellung unter dem Titel „PARASITEN – Life Undercover“; wie wahr, möchte man entgegnen: Das Thema hat immerhin einen direkten Bezug zur Realität.
Berliner Winternächte von Jörg Rubbert: Aufnahmen ohne manipulative Eingriffe
Das Leben in der Großstadt geht zwar auch zu später Stunde weiter, aber langsamer, quasi entschleunigt. Schnee und Eis tun das ihre. Sämtliche Schwarz-Weiß-Aufnahmen sind zwischen 19:00 Uhr abends und 02:00 Uhr nachts entstanden. Meine Minolta CLE-Sucherkamera habe ich wegen des Schneefalls und der eisigen Kälte unter dem Wintermantel tragen müssen. Ich fotografierte die Motive ohne Blitz, nur mit dem Standard-Objektiv Leica Summicron 2.0/40 mm und hoch lichtstarken Filmen.
Die Vorlage für die hier gezeigten analogen Fotografien bilden Kleinbild-Schwarzweißfilme von Kodak: Typ T-Max mit 400 ASA, gepusht auf 800 ASA. Die Kleinbild-Negative wurden im Ausgabeformat 20 x 30 cm (mit 300 dpi Auflösung) vom Labor Pixel Grain, Berlin, gescannt und anschließend auf Silbergalatine-Baryt-Prints abgezogen. Ich verzichtete bei den vollformatigen Abzügen auf jegliche manipulativen Eingriffe. Dadurch sind die fertigen Abzüge keine gestochen scharfen Ansichten, sondern lichtgrafische Stimmungsbilder, malerisch und kontrastreich.
So dokumentieren diese Bilder ein für die Stadt und ihre Menschen einschneidendes Ereignis. Sie zeigen Berlin aus einem völlig anderen Blickwinkel als wir die Stadt typischerweise kennen: Kalt, abweisend, irgendwie unheimlich – fast wie in einem Film Noir. Beim Betrachten der Bilder hofft man, dass zumindest die Pandemie so bald wie möglich überwunden sein wird und die Menschen und mit ihnen das Leben auf die nächtlichen Straßen der Hauptstadt zurückkehren.
Oben rechts: Winterliche Stimmung am Checkpoint Charlie Berlin, Dezember 2021.
Unten: Team-Store der Berliner Eisbären Mercedes-Benz-Platz Berlin, Januar 2021 © Jörg Rubbert.