Das Haus am Waldsee in Berlin zeigt vom 23.6. bis 24.9.2023 die Ausstellung “The First Finger (chapter II)” von Tolia Astakhishvili. Die Ausstellung ist eine raumgreifende Installation, die Interventionen, Zeichnungen, Gemälden, Texten und Videos zeigt.
Tolia Astakhishvili (*1974 in Tbilisi, Georgien) verwandelt das Haus am Waldsee in ihrer Einzelausstellung The First Finger (chapter II) in eine raumgreifende Installation. Neben architektonischen Interventionen, Zeichnungen, Gemälden, Texten und Videos zeigt die Ausstellung neue Gemeinschaftsarbeiten mit Zurab Astakhishvili, Dylan Peirce und James Richards. Außerdem sind Beiträge von Antonin Artaud, Alvin Baltrop, Kirsty Bell, Nat Marcus, Vera Palme, Andreas Rousounelis, Judith Scott, Ser Serpas und Giorgi Zhorzholiani zu sehen.
The First Finger beginnt mit dem Bild einer körperlichen Grenzerfahrung: Ein extremer Kälte ausgesetzter Körper muss Prioritäten setzen, um sich zu schützen. Um zu überleben, rationiert er seine Energie und opfert nach und nach, Finger für Finger, die entbehrlichsten Gliedmaßen, um den Blutfluss zu den wichtigsten Organen im Zentrum aufrechtzuerhalten. Diese körperliche Reduktion auf einen lebenserhaltenden Kern bildet für Astakhishvili den Ausgangspunkt für die Metapher, die der Ausstellung den Titel gibt und die zu einer grundsätzlichen Auseinandersetzung mit den Bedingungen von Leben und Lebendigkeit, von Schutz und Verzicht anregt.
Über die Kunst von Tolia Astakhishvili
Tolia Astakhishvili setzt sich in ihren Arbeiten und mittels verschiedener Ausdrucksformen intensiv mit Fragen des Raumes auseinander. Wie er sich konstituiert und wie er gelebte Realitäten widerspiegelt. Ihre Arbeiten spüren den Strukturen und Erzählungen bestehender Gebäude nach. Durch temporäre Ein- und Umbauten evoziert sie reale und imaginäre Geschichten. Auch im Haus am Waldsee setzt sich Tolia Astakhishvili mit der materiellen Beschaffenheit der Institution auseinander. Sie erforscht deren architektonische Schichten und Randbereiche. Mit vorgefundenen Materialien und konstruktiven Eingriffen verdichtet sie die Räume des ehemaligen Wohnhauses zu einem eindringlichen, fragilen Environment, in dem sie die existentielle Raumbezogenheit des Menschen untersucht.
Gerade Wohnräume stehen oft sinnbildlich für Rückzugsorte, die das Private schützen und in denen die körperliche Unversehrtheit gewahrt werden kann. Diese Vorstellung wird von Astakhishvili in ihrer Ausstellung brüchig gemacht. So lässt sich erahnen, dass „Heimat“ weder ein stabiler Begriff noch ein sicherer Ort sein muss, der existenziellen Halt gibt, sondern mitunter auch ein Ort des Widerstands, des Konflikts oder der Gewalt sein kann. Astakhishvilis Ausstellung thematisiert dieses Spannungsverhältnis zwischen Individuum und Raum sowie die mentalen und physischen Wechselwirkungen zwischen geschlossener Umgebung und ihren Bewohner*innen.
Transformation von Bild und Umgebung
Ausgehend von intimen, feinen Zeichnungen spürt sie den Atmosphären der Umgebung nach. Sie verdichtet und verändert sie. Durch die Transformation architektonischer Strukturen, wie das Aufziehen von Gipskartonwänden, das Einsetzen neuer Fenster oder das Verengen von Durchgängen, navigiert sie alternative Möglichkeiten, sich im Raum zu bewegen und zu orientieren. Diese neu definierten Trennungen und Distanzen ermöglichen und erfordern eine Neugewichtung der eigenen körperlichen und geistigen Beziehung zu einem Außen.
Die Grenzen zwischen den Texturen lösen sich auf, Architektur und Malerei gehen fließend ineinander über. Auf Spuren des Auf- und Abbaus, auf nicht mehr vorhandene Existenzen, auf abstrakte Träume, Emotionen und Visionen verweisen gleichzeitig Objekte und Klänge. Auf diese Weise lässt Astakhishvili verschiedene Orte und Realitäten der Imagination und der Wirklichkeit aufeinander treffen und nebeneinander existieren. Die materiellen Spuren werden zu ambivalenten Markierungen der Vergangenheit und offenbaren das architektonische Gefüge als einen Behälter von Geschichten und Bildern, die sich überlagern und überlagern. Teil dieser Konstellation, die Astakhishvilis Prozesse der Schichtung und Verdichtung erweitert, sind auch Werke anderer Künstler*innen.
Das Ergebnis ist ein fragiles und spannungsreiches Raumgefüge. Es entzieht sich jeder Konzentration auf ein Zentrum. Die poetische Kraft und formale Strenge dieses ambivalenten Environments laden zu einer vertieften Auseinandersetzung mit den sich darin manifestierenden Bewusstseinsebenen und dem Verhältnis von Mensch und Architektur ein.
Über Tolia Astakhishvili
Tolja Astachischwili lebt und arbeitet in Berlin und Tiflis. Zu ihren jüngsten Einzelausstellungen zählen The First Finger im Bonner Kunstverein, I think it’s closed im Kunstverein Bielefeld (beide 2023) und In Heat Wind Wounds Holes bei LC Queisser, Tbilisi (2021). Darüber hinaus waren ihre Arbeiten in zahlreichen Gruppenausstellungen zu sehen, u.a. in der von ihr kuratierten Schau I am the secret meat, Felix Gaudlitz, Wien; The Main Entrance, Shahin Zarinbal (beide 2022); The Holding Environment, Bonner Kunstverein (2021); The Displacement Effect, Capitain Petzel, Berlin; As I write, I am lying, I hope, Art Hub Copenhagen; SPEED 2, Malmö Konsthall; EARTHBOUND. Tales of Man and Nature, Goethe-Institut Bulgarien / Earth and Man National Museum, Sofia (alle 2019) und Ache, Cabinet, London (2018).
Weiteres zur Ausstellung
The First Finger wird in zwei Kapiteln realisiert: Das erste Kapitel findet im Bonner Kunstverein statt, kuratiert von Fatima Hellberg (25. März – 30. Juli 2023) und das zweite Kapitel im Haus am Waldsee in Berlin, kuratiert von Beatrice Hilke (23. Juni – 24. September 2023).
Das Begleitprogramm umfasst unter anderem ein Filmprogramm von Tolia Astakhishvili und Simon Lässig am 2. Juli sowie eine Lesung von Kirsty Bell am 26. August.
Zeitraum: 23.6. bis 24.9.2023
Ort: Haus am Waldsee e.V., Argentinische Allee 30, 14163 Berlin
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